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Alt 14.03.2012, 13:35   #3
Dead_Cow
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Standard ACTA lässt grüßen: Das nicht mehr geheime Geheimtreffen (Kommentar)

ACTA lässt grüßen: Das nicht mehr geheime Geheimtreffen (Kommentar)


Morgen trifft sich eine illustre Runde im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie.
Es geht um die Pläne des parlamentarischen Staatssekretärs Hans-Joachim Otto,
in Deutschland ein Two-Strikes-Modell zu etablieren.
Die Redaktion von gulli.com hat deswegen direkt beim Ministerium angefragt.
Man bittet uns um Verständnis, man möchte dem Ausgang der morgigen Gespräche nicht vorgreifen.

Gemeinsam mit seinem Freund Bernd Neumann (CDU), Kulturstaatsminister im Kanzleramt,
arbeitet der Frankfurter FDP-Bundestagsabgeordnete und ehemalige Vorsitzende des Kulturausschusses im Bundestag
seit Jahren beharrlich daran, in Deutschland ein Two-Strikes-Modell zu realisieren.
Weil Neumann seinen Posten nicht räumte, mutierte Rechtsanwalt Otto unter Schwarzgelb plötzlich zum Wirtschaftspolitiker.
Hier glaubt er nun, dem Ziel der Internetüberwachung zugunsten seiner Verwerterklientel endlich näher zu kommen.

Er vergab im Amt ein Gutachten an den in Urheberkreisen einschlägig bekannten Professor Schwartmann,
dessen Ergebnis Otto dann auch unverzüglich abfeierte:
„Die Studie sei eine wertvolle Grundlage für die weitere Diskussion in puncto Bekämpfung der Internetpiraterie.
Auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse wolle man den Dialog mit den Beteiligten aufnehmen
und noch im ersten Halbjahr 2012 zu einer Entscheidung kommen“, verbreitete Röslers Staatssekretär via Pressemitteilung.

Unter dem Begriff "Beteiligten" versteht das Ministerium allerdings nicht die Nutzer.
Allein die Verbände der Contentlobbyisten und die Provider sind zum Dialog über das Schwartmann-Gutachten am 15. 3. geladen.
Ganz so froh wie im Februar dürfte Otto jetzt allerdings nicht mehr sein.
Von einer „Entscheidung“ ganz zu schweigen.
Denn die öffentliche Reaktion auf Gutachten und dessen amtliche Bejubelung im ACTA-Stil
als „neue Studie zur Bekämpfung von Internetpiraterie“ ist so gar nicht im Geschmack der FDP,
die sich derzeit selbst so gerne als Heldin der Netzszene feiert.
Davon hatte Herr Otto offensichtlich nichts mitbekommen.

Der groß angekündigte Dialog soll wohl auch daher jetzt nur noch im stillen Kämmerlein stattfinden.
Presseanfragen nach Öffentlichkeit wurden abschlägig beschieden.
Ein Stream ist nicht vorgesehen.
Zitat von Ottos Pressesprecher Moneim Eltohami:
Die "Vergleichende Studie über Modelle zur Versendung von Warnhinweisen durch Internet-Zugangsanbieter
an Nutzer bei Urheberrechtsverletzungen" soll zunächst in diesem Kreis diskutiert werden.
"Bei den Teilnehmern des Wirtschaftsdialogs handelt es sich um den festen Kreis von Unternehmen
und Verbänden der Rechteinhaber- und der Providerseite,
die zu Beginn des Wirtschaftsdialoges im Jahr 2008 ihr Interesse an einer Teilnahme bekundet haben.
Beispielhaft seien eco - Verband der deutschen Internetwirtschaft e.V.
und der Bundesverband Musikindustrie e.V. genannt.“ Zitatende.

So gut, so schlecht, so intransparent.
„Zunächst“ in diesem Kreis.
Wie aber soll es weiter gehen?
Denn das Wort zunächst lässt ja Weiteres befürchten.
Doch davon ist aber auch nicht die Rede.
Jetzt bat das Ministerium auch gulli nur noch um Verständnis, „dem Gespräch am 15.3. nicht vorgreifen (zu) können“.

Aber auch sonst will man dem Gespräch nach Ottos Initiative im Februar wohl nicht mehr vorgreifen.
Denn derzeit ist nach Auskunft des Ministeriums
sogar noch „offen, ob und in welcher Form im Anschluss darüber informiert wird.“
Nicht einmal eine Pressekonferenz ist vorgesehen.

Da passt es nur zu gut, wenn heute der Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels
die Leipziger Buchmesse mit den Worten eröffnen wird:
"Eine aufgeklärte Kulturnation kann auf das Urheberrecht nicht verzichten".
Prof. Dr. Gottfried Honnefelder kann nicht nachvollziehen,
warum das Urheberrecht und die Forderung nach einem freiem Zugang zu Informationen
in der Diskussion als Gegensätze positioniert werden.
Die Grundlage von Kultur sei das aktuelle Urheberrecht.
"Geistiges Eigentum sichert erst die kulturelle Vielfalt."

Spannend wird morgen auch die Frage sein, ob in den ministeriellen Hinterzimmern
wenigstens auch das Gegengutachten des Providerverbands eco von Professor Hoeren diskutiert wird?
Wir wissen es nicht, man gibt uns auch keine weitergehenden Auskünfte.
Der ursprünglich öffentlich angekündigte Dialog wird immer noch geheimer.
Transparenz sieht anders aus, liebe FDP.
Zumal Professor Hoeren Herrn Otto und seinen Liberalen eine deutliche Ohrfeige verpasst:

Hoeren kommt zu dem Ergebnis,
dass gegen Schwartmanns Warnhinweismodell sowohl aus rechtspolitischer, praktischer,
technischer als auch aus europa-, verfassungs- und datenschutzrechtlicher Sicht erhebliche Bedenken bestünden.

Wir sind also zunächst gespannt, wie es demnächst weiter geht.
In aller Stille sicher nicht mehr.
ACTA und möglicherweise neue Proteste auf der Straße lassen grüßen.



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